Die Inflation ist wieder da: Korrigiert Draghi jetzt den EZB-Kurs? Von Jörn Bender und Friederike Marx, dpa

19.01.2017 05:30

Es ist ein Comeback mit Ansage: Die Inflation zieht wieder an - sogar
kräftiger als erwartet. Bewegt das Europas Währungshüter zum
Umsteuern? Der Druck auf EZB-Präsident Draghi wächst.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Inflation ist zurück - und damit die
Forderung nach einem raschen Ende der ultralockeren Geldpolitik der
Europäischen Zentralbank (EZB). Hatte nicht Notenbank-Präsident Mario
Draghi die Geldflut stets damit begründet, dass die EZB die Teuerung
wieder in Richtung ihrer Zielmarke von 2,0 Prozent treiben will?

Tatsächlich machten die Preise im Dezember einen kräftigen Sprung:
1,7 Prozent in Deutschland und 1,1 im Euroraum - seit mehr als drei
Jahren zogen die Verbraucherpreise auf Jahressicht nicht mehr so
deutlich an. Wäre es da nicht folgerichtig, den Geldhahn wieder
zuzudrehen - zum Wohl etwa der Sparer, denen mickrige Zinsen seit
Jahren die klassische Altersvorsorge verhageln?

Deutsche Politiker und Ökonomen haben eine eindeutige Antwort. «Die
Nullzinspolitik bei steigender Inflation ist verheerend für den
deutschen Sparer», sagte Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU)
kürzlich dem «Handelsblatt»: «Die EZB muss schnellstmöglich begin
nen,
die Zinsen wieder Schritt für Schritt anzuheben.» Der Präsident des
ifo-Instituts, Clemens Fuest, wertete den jüngsten Inflationssprung
als «Signal für den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik der EZB»

und forderte eine Ende der milliardenschweren Anleihenkäufe im März.

Indes: Auf eine abrupte Kehrtwende der Währungshüter sollte man nicht
spekulieren. Erst im Dezember hatte der EZB-Rat das Kaufprogramm für
Staatsanleihen und Unternehmenspapiere um neun Monate bis mindestens
Ende 2017 verlängert - wenn auch ab April mit etwas verminderter
Feuerkraft von 60 Milliarden statt 80 Milliarden Euro monatlich.

Die EZB werde «für lange Zeit» an den Märkten präsent sein, hatte

Draghi vor sechs Wochen betont. Die von globalen Krisen gebeutelte
Wirtschaft des Währungsraums sei noch auf die Finanzspritzen aus dem
Eurotower angewiesen.

Nach Einschätzung von Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank
Baden-Württemberg (LBBW), kommt die EZB wegen der gestiegenen
Inflation nicht unter Druck. «Draghi wird sich vielmehr bestätigt
fühlen, schließlich kommt man dem Ziel einer Inflation von
zwei Prozent näher», sagt Burkert. Die erhöhte Teuerungsrate sei
aus
EZB-Sicht ein gutes Zeichen, da «das Schreckgespenst der Deflation
verscheucht ist». Mit Deflation meinen Ökonomen eine verhängnisvolle

Spirale aus dauerhaft schrumpfenden Preisen und rückläufiger
Nachfrage.

Deutsche-Bank-Chefvolkswirt David Folkerts-Landau sieht die EZB in
der Zwickmühle: «Deutschland boomt, doch viele Länder an der
Peripherie des Euroraums sind hoch verschuldet.» Eine Zinserhöhung
wäre zwar gut für Deutschland und die Sparer, nicht jedoch für hoch
verschuldete Länder wie etwa Italien, erklärt der Ökonom.

Und Draghi hat ein weiteres Argument auf seiner Seite: Der jüngste
Anstieg der Teuerungsraten ist vor allem eine Folge deutlich höherer
Ölpreise als vor Jahresfrist. Die Kerninflation jedoch - also die
Rate ohne schwankungsanfällige Energie- und Nahrungsmittelpreise -
erhöhte sich für den Euroraum von November auf Dezember 2016 nur
minimal von 0,8 auf 0,9 Prozent. «Doch dies dürfte kaum der Beginn
einer nachhaltigen Aufwärtsbewegung sein», analysierte Christoph Weil
von der Commerzbank. Denn der Teuerungseffekt durch den Ölpreis werde
sich aufgrund der Vorjahresentwicklung im Laufe des Jahres 2017
wieder abschwächen. «Die EZB wird auch nach dem Inflationssprung
weiter Gas geben», meint Weil.

EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré hatte Ende Dezember in einem
Interview mit der «Börsen-Zeitung» auf «klare Anzeichen für eine

Beschleunigung der Gesamtinflation» hingewiesen, zugleich betonte der
Franzose: «Wir warten aber immer noch auf klare Anzeichen dafür, dass
die Kerninflation anzieht und deutlich über ein Prozent steigt.»

Die US-Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) erwartet denn auch für
das laufende Jahr zwar den stärksten Anstieg der Verbraucherpreise im
Euroraum seit Jahren. «Das Jahr 2017 könnte die Rückkehr der
Inflation in Europa markieren», heißt es in einer aktuellen Studie.
Grund sei eine Kombination aus steigenden Ölpreisen und einem starken
US-Dollar, der importierte Waren teurer macht. Dennoch dürfte die
EZB nach S&P-Einschätzung noch «für eine lange Zeit» ihre lockere

Geldpolitik fortsetzen - «bis die Kerninflation nachhaltig anzieht,
voraussichtlich nicht vor 2018».