Brexit: Beide Seiten lassen vor den Verhandlungen die Muskeln spielen Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

30.04.2017 13:21

Bald soll es losgehen mit den Verhandlungen über den EU-Austritt
Großbritanniens - ein beispielloses Experiment mit ungewissem
Ausgang. Zumindest ist nun klar, wie London und Brüssel den Brexit
angehen.

Brüssel (dpa) - Kein Genörgel, keine Quertreiber, keine Extrawürste:

Die Europäische Union ist stolz auf ihre geschlossene Haltung vor den
Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien. Am Wochenende
verabschiedeten die 27 bleibenden Länder der Gemeinschaft in
Blitzgeschwindigkeit ihren Forderungskatalog für die Gespräche, die
nach der britischen Parlamentswahl am 8. Juni beginnen sollen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen waren danach
sichtlich zufrieden. Doch die britische Premierministerin Theresa May
reagiert äußert kühl und beharrt auf ihren Gegenforderungen.

Was will die EU?

Merkel hat es beim Gipfel noch einmal klar gesagt: «Wir wollen auch
in Zukunft gute Beziehungen zu Großbritannien, aber wir wollen auch
als 27 unsere Interessen gemeinschaftlich vertreten.» In ihren
Verhandlungsleitlinien nennt die EU die Punkte, die zuerst geklärt
werden sollen: Rechtssicherheit für die 3,2 Millionen EU-Bürger in
Großbritannien und die 1,2 Millionen Briten in der EU, die
Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis und andere Rechte behalten sollen.
Und eine «Finanzvereinbarung» über Verpflichtungen, die
Großbritannien während der EU-Mitgliedschaft eingegangen ist. Ein
weiterer Punkt ist Irland, das künftig durch eine EU-Außengrenze vom
britischen Nordirland getrennt sein könnte. Erst wenn die EU
einstimmig Fortschritte bei diesen Fragen festhält, will sie in einer
zweiten Phase über die künftigen Beziehungen reden.

Was will Großbritannien?

Premierministerin May will Großbritannien aus dem europäischen
Binnenmarkt führen, will aber eine «tiefe und besondere
Partnerschaft» mit der EU und ein «ehrgeizigen Freihandelsabkommen»,

wie sie in ihrem Austrittsgesuch Ende März schrieb. Darüber will sie
sofort verhandeln, gleichzeitig mit den Bedingungen der Trennung.
«Wir glauben, dass es nötig ist, uns über die Bedingungen unserer
künftigen Partnerschaft zusammen mit denen unseres Rückzugs aus der
EU zu verständigen», schrieb sie. Diese Position bekräftigte May am
Sonntag in der BBC.

Worüber wird es Streit geben?

Dies widerspricht klar der Linie der EU, die in zwei Phasen
verhandeln will und sich in diesem Punkt knallhart gibt. Auch von den
finanziellen Forderungen an Großbritannien wollen die anderen
EU-Länder keinesfalls abrücken. Es geht um Zusagen für den
EU-Haushalt, für Fonds, Kreditprogramme, Pensionen für EU-Beamte und
etliches mehr, die weit in die Zukunft reichen. Zur Debatte stehen
bis zu 60 Milliarden Euro. Brexit-Befürworter in Großbritannien
wollen aber nicht mehr an die EU zahlen. In einem Gespräch mit
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker diese Woche soll auch May
nach einem Bericht der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung»
gesagt haben, Großbritannien schulde den EU-Partnern nach dem
Austritt nichts. Das dürfte ein großer Streitpunkt werden. Daneben
gibt es Dutzende weitere - vom Umzug der EU-Behörden bis zur Zukunft
Gibraltars.

Wo liegen Gemeinsamkeiten?

Zwei Prinzipien halten beide Seiten hoch. Zum einen plädiert auch May
für eine rasche Vereinbarung über die künftigen Rechte der EU-Bürge
r
in ihrem Land und der Briten in der EU. Zum anderen bekennt sie sich
wie die EU-Seite zu dem Ziel: «Wir sollten zusammenarbeiten, um die
Brüche so klein wie möglich zu halten und so viel Rechtssicherheit
wie möglich zu schaffen.» Beide Seiten denken an ihre Unternehmen und
ihre Volkswirtschaften. Großbritannien liefert 44 Prozent seiner
Exporte in die EU, die EU immerhin 9,5 Prozent ins Vereinigte
Königreich.

Wie sind die Chancen auf Einigung?

Eigentlich nicht schlecht. Zwar gab sich Juncker nach dem Gespräch
mit May ernüchtert ob ihres mangelnden Kompromisswillens und sagte
nach Angaben aus EU-Kreisen: «Ich verlasse die Downing Street zehnmal
skeptischer, als ich vorher war.» Und May drohte am Sonntag in der
BBC abermals unterschwellig: Sie ziehe es vor, kein Austrittsabkommen
mit der EU zu schließen als ein schlechtes. Allerdings steckt May
mitten im Wahlkampf und kann deshalb in den nächsten Wochen kaum
nachgeben. Beiden Seiten ist klar, dass ein «harter Brexit» ohne
Anschlussregelungen für Bürger und Unternehmen ein Desaster wäre.
«Das wäre schlecht für uns alle», sagt ein hoher EU-Beamter. Und Ma
y:
«Wir müssen deshalb hart daran arbeiten, ein solches Ende zu
vermeiden.»