Tusk will EU mit Entscheidungen auf Chefebene flott machen

18.10.2017 18:22

Die EU gilt als träge, bürokratisch und undurchsichtig. Ratspräsident

Tusk will das ändern. Sein Vorschlag: Geht nichts voran, müssen die
Staats- und Regierungschefs den Gordischen Knoten durchschlagen.

Brüssel (dpa) - In der Europäischen Union sollen bald die Staats- und
Regierungschefs mehr Streitfragen direkt entscheiden, um die oft
träge Gemeinschaft handlungsfähiger zu machen. Dies schlug
Ratspräsident Donald Tusk vor dem EU-Gipfel am Donnerstag vor. Man
müsse «das Gefühl der Machtlosigkeit überwinden, wo politische
Interessen oder bürokratische Trägheit Ergebnissen im Wege stehen»,
schrieb Tusk an Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen Chefs.

Diese wollen am Donnerstag und Freitag in Brüssel erneut unter
anderem über die schwierigen Großthemen Migration, Verteidigung,
Digitalisierung und Brexit beraten. Auf Merkels Antrag wird auch das
Verhältnis der EU zur Türkei besprochen. Die Kanzlerin will dabei
thematisieren, ob Finanzhilfen für den EU-Beitrittskandidaten
reduziert werden könnten. Im Bundestagswahlkampf thematisierte
Forderungen nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen werden
hingegen vermutlich keine große Rolle spielen. Die dafür notwendige
Einstimmigkeit unter den EU-Mitgliedstaaten war bis zuletzt nicht
absehbar.

Thema beim Gipfel sind außerdem die vor allem vom französischen
Präsidenten Emmanuel Macron geforderten Reformen der EU, die nach
seinem Willen notfalls auch erst in kleineren Gruppen vorangetrieben
werden sollen. Tusk veröffentlichte dazu in der Nacht zum Mittwoch
Vorschläge für eine neue Arbeitsmethode, um die EU in Schwung zu
bringen. Nötigenfalls sollen die Staats- und Regierungschefs dafür
häufiger als bisher vier bis sechs Mal im Jahr zusammenkommen und
schwierige Themen direkt anpacken. Tusk will ihnen dazu vor den
Sitzungen künftig Entscheidungshinweise, sogenannte Decision Notes,
vorlegen. Einigen sich die Gipfelteilnehmer in der ersten Diskussion
nicht, sollen sie entscheiden, wie es weitergehen soll.

So will Tusk auch die politisch besonders heiklen und teils seit
Jahren debattierten Themen wie die Asylpolitik oder die Reform der
Eurozone angehen. In einer «Leader's Agenda» schlägt der Ratschef
einen Zeitplan mit teils monatlichen Gipfeltreffen bis zu den
Europawahlen im Juni 2019 vor.

Die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion soll bei einem
Eurozonengipfel im Dezember besprochen werden - obwohl es dann
womöglich noch keine neue Bundesregierung gibt. Entscheidungen sollen
nach Tusks Vorschlag aber erst Ende Juni 2018 fallen.

Bei den Reformen müsse es seiner Meinung nach darum gehen, die
Einigkeit in der EU beizubehalten, sagte Tusk am Mittwoch bei einer
Pressekonferenz. Gleichzeitig dürfe Einigkeit aber nicht synonym für
Stagnation stehen.