Polens Regierungschef sieht Beginn neuer Ära: die Vorkriegszeit

29.03.2024 05:00

Berlin/Warschau (dpa) - Die russische Invasion in der Ukraine vor gut
zwei Jahren hat nach Einschätzung des polnischen Regierungschefs
Donald Tusk ein neues, kriegerisches Zeitalter in Europa eingeläutet.
«Ich weiß, es klingt niederschmetternd, vor allem für die jüngere
Generation, aber wir müssen uns daran gewöhnen, dass eine neue Ära
begonnen hat: die Vorkriegszeit. Ich übertreibe nicht; das wird jeden
Tag deutlicher», sagte er der «Welt» und europäischen Partnermedien
.
«Ich möchte niemandem Angst machen, aber Krieg ist kein Konzept mehr
aus der Vergangenheit. Er ist real, und er hat schon vor über zwei
Jahren begonnen.» 

Am beunruhigendsten sei derzeit, dass buchstäblich jedes Szenario
möglich sei, sagte Tusk. «Eine solche Situation haben wir seit 1945
nicht mehr erlebt.» In dem Jahr ging der Zweite Weltkrieg mit der
Kapitulation Hitler-Deutschlands zu Ende. 

Zugleich sagte Tusk, er beobachte eine Revolution in der europäischen
Mentalität. Niemand stelle mehr infrage, dass man sich gemeinsam
verteidigen müsse. «Schauen Sie sich Deutschland an, dort hat ein
gewaltiger Umschwung stattgefunden. Heute wetteifern CDU und SPD
darum, wer von ihnen proukrainischer ist.»

Angesichts der Instrumentalisierung von Migranten durch Russland
forderte er einen konsequenteren Schutz der EU-Außengrenzen. «Die
Europäische Union als Ganzes, als mächtige Organisation, muss mental
dafür bereit sein, für die Sicherheit unserer Grenzen und unseres
Territoriums zu kämpfen.» Zu Zurückweisungen von Migranten direkt an

der Grenze sagte er: «Niemand kann jede Person einzeln prüfen, wenn
Russland und Weißrussland Tausende von Menschen auf einmal an die
Grenze schicken. Sie tun dies gezielt und kaltblütig. Wenn wir mit
tausend Menschen zurechtkommen, schicken sie zehntausend und so
weiter.» Das Ziel der Regierungen in Russland und Belarus sei
Destabilisierung. «Sie wollen, dass wir einen Punkt erreichen, an dem
wir unsere eigenen Rechte und Werte verleugnen müssen.» Es gelte nun,
so menschlich wie möglich zu handeln.